Einleitung und Bemerkungen

"Von den sieben Mio. Talern Staateinkünften pro Jahr [zu Zeiten Friedrich Wilhelm I.] beanspruchte die Armee, deren Kopfstärke von 38447 auf 76278 Mann erhöht worden war, am Ende fünf Mio. Taler. Dieser hohe Anteil ist in der Literatur gelegentlich beanstandet worden. Die Auffassung, das die geringen Mittel des Volkes ausgenutzt worden seien, um eine starke Rüstung zu betreiben, hält einer objektiven Betrachtung jedoch nicht stand. Sie wäre zutreffend, wenn die Steuern zu Steigerung der Militärausgaben erhöht worden wären. Tatsächlich richtete sich aber die Steuerlast in Preußen nicht nach den steigenden Militärausgaben, sondern umgekehrt, der Heeresetat nach der Zunahme der Staatseinkünfte. Wenn das Heer zunahm, dann nicht, weil die Bürger durch das Militär ärmer, sondern trotz des Militärs wohlhabender geworden waren."

Guddat, Martin: Grenadiere, Musketiere, Füsiliere; S. 10


"Ebensowenig kann aus der Dominanz des Mititärs im Staate Friedrich Wilhelms I. auf einen preußischen Militarismus geschlossen werden. Heinrich von Sybel hat ermittelt, daß Preußen innerhalb von 150 Jahren weniger Kriege geführt hat als Frankreich, Rußland oder Österreich. Andere, wie der amerikanische Soziologe Wright, haben festgestellt, daß Preußen-Deutschland in der Teilnahme an allen zwischen 1480 und 1940 geführten Kriegen hinter England, Frankreich, Spanien, Rußland und anderen erst an neunter Stelle steht. Von einer ständigen Gefahr für die Sicherheit und den Frieden in Europa durch ein kriegslüsternes Preußen kann deshalb keine Rede sein. Friedrich Wilhelm I. warnte seinen Sohn in seinem politischen Testament sogar ausdrücklich von ungerechtfertigten Kriegen, weil Gott diese verboten habe. Militaristen reden und geben sich anders. Das Säbelrasseln, der näselnde Offizier und der schikanierende Feldwebel sind wilhelministische Verfallserscheinungen, die dem klassischen Preußen nicht zugerechnet werden sollten."

Guddat, Martin: Grenadiere, Musketiere, Füsiliere; S. 16


"Das Vermögen, aus freiem Entschluß über sich Herr zu sein, seine Leidenschaft zu beherrschen und das Bewußtsein von der Würde des Menschen, die es verbietet, eines anderen Knecht zu werden, waren gleichrangige Elemente im preußischen Gehorsamsbegriff. Daher gehört die Verweigerung des Gehorsams dort, wo er nicht mehr Maxime des Handelns für andere sein konnte, durchaus zur preußischen Soldatentradition. Der Reiteroffizier von der Marwitz hat die Auflehnung, die Fontane einmal als die schönste Seite der preußischen Idee bezeichnet hatte, mit der Verweigerung des Befehls zur sinnlosen Plünderung des Schlosses Hubertusburg ebenso vorgelebt, wie Jahre später Graf York von Wartenburg mit dem Abschluß der Konvention von Tauroggen. Von einem Kadavergehorsam, der den Preußen so gern unterstellt wird, kann deshalb nicht die Rede sein. Wer ihn herausstellt, handelt entweder bösartig oder hat die Zusammenhänge nicht verstanden.

Guddat, Martin: Grenadiere, Musketiere, Füsiliere; S. 31



Stefan "Bieli" Bielenberg